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Shawan, 10 Jahre, Vollblutaraber

2009 war ein tolles Jahr! Ich bekam einen Heiratsantrag und als ich ihn annahm, wurde ich von meinem Mann Thomas vor den PC gepflanzt und sollte in der Bildergalerie nach meinem Geschenk Ausschau halten. Keine Minute später hatte ich ihn entdeckt: Shawan. Ich war sofort verliebt in diesen kleinen Araberhengst. Am nächsten Tag besuchten wir ihn mit seiner Vorbesitzerin. Sie arbeitete damals auf dem Gestüt, auf dem Shawan am 5. Mai 2007 geboren wurde. Wir waren entzückt von diesem bildhübschen Pferdchen. Keine drei Wochen später holten wir den damals 2-jährigen Shawan zu uns auf den Hof. Die nächsten zwei Jahre gingen wir spazieren, ich nahm ihn als Handpferd bei Ausritten mit meiner Stute mit, er wurde in Tüten gewickelt, über Planen und Stangen geschickt, verladen usw. Er war interessiert, unglaublich neugierig und dabei sehr entspannt. Er machte mir sehr viel Spaß.

Mit 4 Jahren, inzwischen Wallach, gab ich Shawan in Profiberitt zu einem Westerntrainer, den ich schon viele Jahre kenne und schätze. Nach fünf Monaten war es dann soweit. Ich stieg in den Sattel und ritt mein Pferd. Ein tolles Gefühl. Alle zwei Wochen waren wir zum Unterricht bei unserem Trainer. Zuhause ging es auf den Reitplatz, ins Gelände, in der Gruppe, allein. Reiterurlaube in der Heide folgten, mal ein EWU-Turnier. Ich war mit uns zufrieden und glücklich, ein so entspanntes, fröhliches, bewegungsfreudiges Pferd in unserer Familie zu haben.

Wann es genau losging weiß ich nicht mehr. 2015, 2016? Meine Freundin sagte später einmal: «Du hast in den letzten eineinhalb Jahren häufiger unsere Chiropraktikerin kontaktiert, erinnerst du dich?» Und es stimmte. Shawan lief manchmal aber nicht immer taktunrein. Das fiel auch während des Unterrichts auf. Wir filmten das sogar! Später fiel mir ein ungewöhnliches Kopfnicken auf. Immer auf der rechten Hand, immer im Leichttrab. Shawan wurde immer triebiger. Ich ritt bewaffnet mit Sporen und zum Schluss mit Gerte! Oftmals war er nach dem Unterricht schweißgebadet. Er nutzte jede Gelegenheit um zu parken. Das alles hätte mir schon Anzeichen genug sein können.

Dann kam der 16.3.2017, ausgerechnet der Kennlerntag von meinem Mann und mir. Abends wollten wir flott essen gehen und den Tag feiern. Ich war mit meiner Freundin von einem kurzen Ausritt zurückgekehrt und wollte noch eine Runde auf unserem Reitplatz drehen. Ich galoppierte Shawan auf der rechten Hand an und nur wenige Sekunden später brach er unter mir zusammen. Wir schüttelten uns beide, ich stieg wieder auf und ritt einige Minuten weiter. Scheinbar alles in Ordnung. Nach kurzer Zeit hielt ich zitternd an und beendete diesen Kamikaze-Ritt. Ich war fix und fertig, denn das, was ich an dem Tag gefühlt hatte war neu. Ich ritt in ein NICHTS. Ich kann es nicht anders beschreiben. Und ich kann das Gefühl heute noch abrufen. Mein Pferd, welches mich und sich tragen sollte, versank unter mir ins Bodenlose. Es war entsetzlich!

Die nächsten acht Wochen hatte ich sehr viel Zeit zum Nachdenken. Neben diversen Prellmarken hatte ich Kniegelenkergüsse und gerissene Knieinnenbänder. Nur! Zum Glück! Wenige Tage später war mein Shawan genauso lahm wie ich. Ich war am Boden zerstört. Mein Pferd stand wie ein Häuflein Elend in der Ecke und ich zermarterte mir das Hirn. Mir war merkwürdigerweise klar, dass in diesem Fall kein Tierarzt helfen kann. Ich holte mir Rat bei einer weiteren Chiropraktikerin. Helfen konnte auch sie uns nicht, aber sie fragte nach meinem Sattel. Gemeinsam begutachteten wir ihn. Zuviel Bewegung im Lendenwirbelbereich, er liegt zu unruhig. Darauf hatten wir in den Jahren vorher, auch mit Trainer, nicht geschaut. Es ging eigentlich mehr um die Bewegungsfreiheit in der Schulter…

Und weiter gings in der Suche nach Antworten zu meinen vielen Grübeleien. Bemerkungen wie …

«Ihr habt einfach Pech gehabt»
«Der Boden war bestimmt nicht eben»
«Araber stürzen schneller mal»

… hörte ich mir an und wusste, dass sie das eigentliche Kernproblem, in dem mein Pferd fest zu stecken schien, nicht lösen können.

Eines Abends ging mir zum Glück ein Licht auf und ich holte mir eines meiner Bücher und las die ganze Nacht durch. «Die Schiefen-Therapie» von Klaus und Gabriele Schöneich. Wie konnte das so in den Hintergrund geraten? Denn meine inzwischen 27-jährige, putzmuntere Stute Francis war vor vielen, vielen Jahren bei Familie Schöneich, damals in Rheurdt, gearbeitet worden. Immer wiederkehrende Kniegelenkbandprobleme waren damals der Grund. Danach nie wieder! Longieren im Roundpen war seitdem viele Jahre lang ein großer Bestandteil beim Training meiner Stute gewesen. Rückblickend betrachtet ist es mir komplett unverständlich, dass ich nicht eher geschaltet habe. Ich las alle Berichte auf der Homepage vom Zentrum für ARR. Ich machte Fotos von Shawan, die mir deutlich machten, in welch schlechten körperlichen Zustand er war. Ich war betriebsblind.

Die nächsten Tage hielten Thomas und ich Familienrat. Ich erzählte ihm, was ich vorhabe, und wir beschlossen, genau das zu tun. Ich nahm Kontakt zum Zentrum für ARR auf und ich verabredete vier Tage später mit Klaus Schöneich den Termin zur Videoanalyse. Ich war mir sicher, dass das unsere Chance ist. Und ich hatte wirklich Angst vor dem, was ich erfahren würde. Denn auch das war mir bewusst. Sollte uns in Goch nicht geholfen werden können, dann hätte ich keine Idee mehr, was zu tun ist…

Am 2.5.2017 fuhr ich also nach Goch. Warm empfangen ging es direkt in den Roundpen und nach nur wenigen Minuten Videosequenz brachen wir ab und ich konnte mir den Bewegungsablauf meines Pferdes in Zeitlupe anschauen. Ein Bild des Jammers! Auf der Vorhand laufend, sich nicht nach links biegen könnend. Eine Hinterhand, die nicht unter den Schwerpunkt treten kann. Natürlich kein nach oben schwingender Rücken, der mich hätte tragen können. Eine deutlich schlechter bemuskelte rechte Hinterhand. Mein Pferd war stocklahm… Die Frage, ob er einen Unfall gehabt hatte, konnte ich nicht beantworten. Unsere Wallache toben viel und gerne mal ausgelassen miteinander. Mir war kein Tag X aufgefallen.

Shawan konnte zum Glück bleiben und dafür bin ich heute noch dankbar! Es sollte einfach so sein. Zuhause beschlossen wir, dass wir Shawan und all den beteiligten Therapeuten nicht vier sondern achtWochen Zeit geben wollten, all die deutlichen Zeichen, die Shawan gesendet hatte, zu therapieren. Wie gut. Mein Bauchgefühl war richtig. Ich bin die nächsten sieben Wochen einmal pro Woche in Goch gewesen. Die ersten zwei Wochen war ich verhalten optimistisch, denn Shawan lief weiterhin lahm. Aber er war in einem körperlich besseren Zustand und mental gut drauf. Nach diesen ersten zwei Wochen stagnierte die Entwicklung und Herr Fernandez-Cuevas wurde hinzugezogen. Shawan musste akupunktiert werden. Mit Erfolg. Es ging weiter. Nach weiteren drei Wochen wurde Shawan zum ersten Mal wieder unter dem Sattel gearbeitet.

Die 8. Woche war ich dann vor Ort. Wir beide waren soweit. Ich longierte ihn unter Anleitung von Gabriele Rachen-Schöneich und bekam die dringend benötigten Sitzschulungen im Roundpen. Ein neuer Sattel wurde angepasst (zu viel Bewegung im Lendenwirbelbereich wurde auch hier kritisiert) und ich ritt Shawan nach knapp vier Monaten wieder auf dem Platz. Mit unglaublicher Geduld wurde ich wieder und wieder von Gabriele Rachen-Schöneich korrigiert. Was haben sich da Bewegungsstereotypen bei mir eingeschlichen! Weniger ist mehr! Mein Pferd bewegt sich jetzt anders, hat noch mehr Schwung. Das muss ich sitzen lernen, ich kann jetzt fein reiten. Ich muss meine Hilfen, meine Hände, meinen Körper auf ihn einstellen und reduzieren. Ich brauche keine Sporen mehr. Mein Pferd will und kann laufen… Und dieses feine Reiten macht so unglaublich viel Spaß!

Nun saß ich also glücklich auf Shawan im Unterricht im Juni 2017 in Goch und Gabriele Rachen-Schöneich sprach aus, was ich am Beginn der Therapie im Innersten befürchtet hatte: «Frau Jung, wir wussten lange nicht, ob wir ihrem Pferd helfen können. Unsere Tierärztin Frau Küppers, die Araber züchtet, hat ihn im Roundpen gesehen und gesagt: Versuchen sie es einfach…» Dieser Satz hallt nach für immer.

Zurück zuhause war ich mehr als aufgeregt bei jedem Longentraining. Übersehe ich was? Mache ich alles richtig? Was, wenn mal Pause ist wegen Wetter, Arbeit, Urlaub usw.? Und auch da erinnerte ich mich wieder an meine fidele Stute Francis. Damals hatte ich ähnliche Bedenken: Bianca, denk nicht, mach einfach…

Die Fütterung habe ich umgestellt. Ich habe die Empfehlung von Gabriele Rachen-Schöneich 1 zu 1 übernommen und wir fahren gut damit. Shawan ist kraftvoll, super bemuskelt und klar im Kopf. Und noch mehr ist passiert. Shawan, der Rechtshänder, hatte einen Spalt im rechten Vorderhuf seitdem er bei uns ist. Nicht dramatisch, aber da. Nach der Schiefen-Therapie ist er weg. Und Shawan hat sich jeden Sommer sowohl Schweif als auch Mähne gescheuert. Diesen Sommer zum ersten Mal nicht. Und auch unser Stallbetreiber zieht mit. Nachdem ich mir die letzten Monate ständig meinen Roundpen auf- und abgebaut habe, teilte er uns mit, dass wir demnächst ein paar Tannen weniger, aber dafür einen festen Round Pen bekommen würden…

Ich komme gerade von einem Kurs im Oktober 2017 in Vrees mit der gesamten Familie Schöneich. Nach 4 Monaten Arbeit zuhause wollte ich unbedingt überprüfen lassen, was wir daheim fabriziert haben. Und wir wurden bestätigt. Wir waren gut in den letzten Monaten und sind es noch. Wir sind richtig gut! Ich bin überglücklich.

Ich bin dankbar für die mentale, professionelle Unterstützung von Ihnen, Familie Schöneich und dem gesamten Team, die die Pferde betreuen, reiten, behandeln. Und an Thomas: Danke! Als ich dir von meinen Überlegungen und Gedanken erzählt habe, warst du da. In jeglicher Hinsicht.

Bianca Jung, Huntlosen 6.11.2017

Was in der Zwischenzeit passierte

Hochmotiviert kam ich von dem Kurs in Vrees zurück und plante direkt mein weiteres Vorgehen für 2018. Meine Idee war, das Training von uns in Halbjahresabständen überprüfen zu lassen. Und so haben wir es gemacht und uns für eine Woche im Mai im Zentrum für ARR in Goch angemeldet. Kleine Fehler beim Longieren und beim Sitz hatten sich eingeschlichen und wurden korrigiert, wir feilten jetzt an Feinheiten. Und Shawan dankte es sofort. In den wenigen Tagen intensiven Trainings sah man den Unterschied sehr schnell. Es war faszinierend. Und auch da habe ich mir einen sehr treffenden Satz von Gabriele Rachen-Schöneich gemerkt. «Shawan ist wie ein cleverer Teppichverkäufer. Er gaukelt ihnen vor, dass doch alles schön ist. Aber den besten Teppich hat er noch im Keller. Also gehen sie ran und fordern ihn freundlich auf, noch mehr zu geben. Denn er kann das! Aber er ist auch klug und macht für sich ökonomisch das Beste draus.» Jo! Wahre Worte. Mein kleiner, lieber Shawan als Schlitzohr. Ich muss heute jedes Mal lachen, wenn ich daran denke. Und ich setzte es um… Es geht tatsächlich meist noch mehr.

Im Juni 2018 musste ich mich dann nach 24 gemeinsamen Jahren von meiner Stute Francis verabschieden. Gesund bis zum Schluss, gab sie erst ihre Position als Leitstute an eine andere Stute weiter, was mich schon stutzig machte. Und dann stellte sie eines Tages Fressen und Saufen ein. Mein Tierarzt und ich waren ratlos. Alle Laborparameter top, kein Fieber. Nach 5 Tagen Beobachtung bat ich meinen Tierarzt sie zu erlösen.

Und auch das hat wieder etwas in Gang gesetzt… Ich war so traurig nach diesen anstrengenden, sehr berührenden Tagen des nahenden Abschieds von Francis, dass ich beschloss, andere, bessere Trainingsmöglichkeiten für Shawan und mich zu suchen. Wetterunabhängig, zeitunabhängig sein. Die Zeit zu nutzen, die wir gemeinsam haben. Zum Glück war meine langjährige Freundin, die zwei Pferde in unserem Stall stehen hat, genau meiner Meinung. Wir informierten uns, besuchten Ställe in unserer Umgebung und wurden fündig. Ein Gestüt in unserer Nachbarschaft hatte 3 Plätze frei und so zogen wir noch im Juni mit Sack und Pack um. Jetzt steht uns eine Halle zur Verfügung und ich hätte nicht gedacht, dass ich ausgerechnet eine Halle im Sommer toll finden würde!

Huntlosen, den 29.7.2018