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Viktor, Rumänisches Warmblut

Auf der Suche nach einem Reitstall, in dem ich einmal pro Woche einen Ausritt machen kann, traf ich auf das Schulpferd Viktor. Er wurde nicht mehr an Reitschüler gegeben, da er im Gelände unberechenbar war und auch schon Reiter abgeworfen hatte. Trotzdem hatte er es mir angetan. Obwohl ich nicht mehr die zeitliche Gebundenheit einer Reitbeteiligung wollte, fing ich an, ihn zu reiten.

Die ersten zwei Monate ging es gut - bis er bei Eis und Schnee durchging. Ohne Steigbügel und über Eisplatten im vollen Galopp hatten wir mehr Glück als Verstand, unverletzt im Stall anzukommen. Ich wollte nicht mehr hingehen. Nach einer Woche ging ich ihn putzen. Selbst da hatte ich Angst, in seine Nähe zu gehen. Er war giftig, aber ich kam immer wieder, und er faste Vertrauen. Von einer kleinen Runde an der Hand bis zu langen Spaziergängen in den Wald.

Ich ließ einen Tierarzt kommen. Diagnose: Blockaden im Rücken. Es kam ein Osteopath und behandelte ihn. Das war der Zeitpunkt, als der Besitzer mich vor die Wahl stellte: entweder ich kaufe das Pferd oder es geht zum Schlachter. Viktor brachte ja kein Geld, weil er unreitbar war. Wir waren mit Handarbeit so weit gekommen, er hatte mir so viel Vertrauen geschenkt, dass ich ihn kaufte.

Es war aber trotz verscheidener Reitlehrer, eines neuen Sattels und des Renkens nicht möglich, ihn zu reiten. Er rannte sofort los. Selbst im Schritt entspannte er sich nicht, sondern fing nach kurzer Zeit des Reitens an zu springen. Ich ließ ihn röntgen. Diagnose: Kissing Spines. Drei Jahre hatte er einen zu engen Sattel ertragen und rannte förmlich seinem Schmerz davon. Was tun - ich fühlte mich hilflos. Im Internet stieß ich auf das Zentrum für ARR, und aufgrund der Erfahrungsberichte zögerte ich nicht lange und Viktor kam ins Zentrum.

Frau Rachen-Schöneich sah Viktor laufen und meinte, er läuft wie eine Geisha: Er hatte viel zu kleine Eisen. Man sah ihm förmlich die Erleichterung an, als sie abgenommen wurden. Die nächste Amtshandlung waren die Zähne. Ein Wolfszahn musste gezogen und die nebenstehenden Zähne abgeschliffen werden. Er hatte aufgeriebene Stellen im Maul. Also neben dem Rücken auch Schmerz von der Trense und eingeengte Hufe. Reiten = Schmerz. Dazu kommen seine sicherlich nicht leichten ersten Lebensjahre in Rumänien, was die Narben auf den Hüftknochen belegen. Ein so traumatisiertes Pferd wieder reitbar machen?

Mit der Longenarbeit lernte er sich richtig bewegen. Die Lahmheit, weil er vorher immer auf die rechte Schulter fiel, war weg. Die erste eigene Longierarbeit war frustrierend. Was bei Frau Rachen-Schöneich so einfach aussieht, ist, wenn man selbst im Rundpaddock steht, zunächst schwer in der Koordination. Doch schon nach der dritten oder vierten Einheit wurde ich auch entspannter und es ist nun genug Grundlage da, um mit einem sicheren Gefühl alleine weiterzumachen.

Nach sechs Wochen kam er in Beritt und ich hielt die Luft an. Eine «Mitstreiterin» mailte mir eine kurze Sequenz und ich hatte spontan Freudentränen in den Augen. Er lief im Schritt entspannt vorwärts-abwärts und im Trab keine Spur von wegrennen. Einfach ein ganz normales Reitpferd mit wunderschönen Bewegungen! Meine Herausforderung ist es jetzt, die neue Reitweise, ohne ziehen am Zügel und ohne Schenkeldruck, nur mit meinem Körper umzusetzen. Im Rundpaddock hatte ich das absolute Glücksgefühl, das Pferd wirklich unter meiner Senkrechten mit minimalen Impulsen zu haben. Das gilt es nun in der Halle fortzusetzen. Ich habe im Zentrum für ARR, trotz langjähriger Reiterschul-Erfahrung, die ersten richtigen Unterrichtseinheiten gehabt, die wirklich an der Basis des richtigen Sitzens ansetzen. Es werden sicher nicht die letzen gewesen sein, auch wenn ich nun alleine weitermache.

Vielen Dank, dass Viktor durch Sie, Frau Rachen-Schöneich, ein zweites Leben beginnen darf!

Nicole Toop-Wagner und Viktor