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Das Geheimnis der Biomechanik

Unsere langjährige Erfahrung zeigt, dass bei der Ausbildung von Reitpferden der anatomische und biomechanische Rhythmus des Fluchttieres mit seinen ganz natürlichen Reaktionen auf äußerliche Einwirkungen von zentraler Bedeutung ist.

Dies beginnt u. a. mit den Augen, die an das Gehirn das Signal von Gefahr senden – dabei spielen die Augenmuskulaturen eine erhebliche Rolle (siehe auch den Fachaufsatz zu diesem Thema von Tina Wassing, Tierärztin des Zentrums für ARR). Nun wird die Reaktion der Muskeln, die in dieser Gefahrensituation reagieren müssen, ausgelöst. Denn das Gehirn sendet die erhaltene Information weiter an den ersten Muskel, der die Fluchtvorbereitung auslöst: den Trapezmuskel. Dieser veranlasst das Blockieren auf der Vorhand, was wiederum das Hochrecken des Halses und des Kopfes ermöglicht. Dadurch wird der Rumpf (sprich der Oberkörper) nach unten gedrückt. Die Folge ist ein klares Stressverhalten mit erhöhter Adrenalin-Produktion.

Dieses absolut natürliche Verhalten zwingt das Pferd – auch in der freien Natur – zum Stillstand. Anders gesagt: Witterungsaufnahme wird nur im Stand vollzogen!

Was heißt das für die Ausbildung von Reitpferden? Das Pferd hat sich mit seiner Anatomie und seiner Biomechanik auf dieses natürliche Verhalten und die daraus resultierenden natürlichen Reaktionen eingerichtet, doch leider wird dies als Basis einer vernünftigen Ausbildung nicht berücksichtigt. Denn zwingen wir ein Pferd – ohne die eben erläuterte Biomechanik des Fluchttieres zu verändern – in ein Vorwärts-Abwärts oder ein zu starkes Vorwärts, landen wir auf der Vorhand und lösen damit die natürliche Reaktion des Trapezmuskels als Stressmuskel aus.

Pferde werden nicht verstehen können, dass sie in einer solchen genetisch eingeprägten Reaktion, in der sie zum Stand kommen müssen, nach vorn getrieben werden. Sie blockieren, sie verspannen und belasten ihren Knochenbau. Der Stoffwechsel reagiert: sie bauen ab! Ein großer Teil der Pferde landet in der Folge in der medizinischen Behandlung, da das Verständnis für diese Reaktion in der Ausbildung fehlt!

Frau Rachen-Schöneich gymnastiziert ein Pferd an der Longe im Rundpaddock. Der trabende Dunkelfuchs dehnt sich zufrieden nach vorne, seine Bewegung im Trab wirkt locker, die Hinterhand ist in der Lastaufnahme, der Rücken schwingt sichtbar nach oben.
Longieren um zu reiten: Die Schiefen-Therapie® ist eine gymnastizierende Longenarbeit am Kappzaum und dient der Geraderichtung sowie dem funktionellen Muskelaufbau zur optimalen Vorbereitung auf das Reitergewicht. (Fotos: Maresa Mader)

Deshalb haben wir vom Zentrum für ARR die 2-Stufen-Ausbildung aufgebaut. All das Gesagte bedingt, sich mit einer vernünftigen Umwandlung der Biomechanik des Fluchttieres zum sich selbst tragenden Athleten zu beschäftigen. Die Biomechanik des Pferdes lässt sich somit in zwei unterschiedliche und klar zu definierende Strukturen aufteilen: Zunächst die des Fluchttieres, wie oben beschrieben, und dann die des Athleten, der nur positiv und gesund reagieren kann, wenn er die Elemente seines Körpers beherrscht, die er braucht, um sich selbst zu tragen. Dahinter verbirgt sich das Geheimnis der pferdegerechten und gesundheitsschonenden Ausbildung von Reitpferden.

In der ersten Stufe der Ausbildung im Sinne von ARR – der Vorbereitung am Boden – muss das Pferd das Bewusstsein für Stand- und Spielbein vermittelt bekommen. Wie die natürliche Schiefe die diagonale Verschiebung im negativen Bereich darstellt, ist die Diagonale auch der Schüssel zur positiven Veränderung. Doch um dieses von alt her bekannte Ziel zu erreichen, muss dafür geeignetes Equipment ausgewählt werden. Der von uns empfohlene Kappzaum hat sich für diese Veränderung der Biomechanik als am wirksamsten erwiesen. Eine Reihe neu entwickelter Kappzäume sind zu leicht und lassen eine diagonalen Verbesserung nicht genügend zu, da sie auf dem Nasenbereich zu stark verrutschen.

Text: Gabriele Rachen-Schöneich und Klaus Schöneich, Zentrum für Anatomisch richtiges Reiten ARR