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Gedanken zur Grundausbildung von Pferden im Zentrum für ARR

Als wir vor langer, langer Zeit während einer Equitana mit dem Herausgeber einer bekannten Fachzeitschrift das Gespräch suchten, stellte sich schnell heraus, dass das Thema «Schiefe des Pferdes» bei ihm auf keine Resonanz stieß. Wie sich die Zeiten ändern, denn inzwischen ist das geraderichtende Longieren in aller Munde…

Ein interessanter Aspekt des damaligen Gespräches war der Satz: «Den Begriff ‹Longieren› einzusetzen, macht keinen Sinn, er ist schon durch die FN besetzt. Es ist klüger einen anderen Begriff zu suchen.» So erfanden wir die «Schiefen-Therapie®». Seit dieser Zeit ist dieser Begriff urheberrechtlich geschützt. Longieren ist inzwischen allgemeines Gebrauchswort, u. a. auch für die, die sich auf den Weg gemacht haben, diese Arbeit mit dem Pferd zu vermarkten.

Aber: Kappzaum, Longe und Peitsche sind nicht alles. Zum Geraderichten eines Pferdes gehört das Verständnis, warum es wie gearbeitet wird. Nur so ist eine dauerhafte Veränderung von biomechanischen Reaktionen zu erreichen. Das Erarbeiten der Bewegungsmuskulatur basiert auf dem Abbau von Kompensationsmuskeln und lässt das Pferd dadurch ein hohes und gesundes Alter erreichen.

Das Pferd ist ein Fluchttier und muss erst zum tragfähigen Athleten ausgebildet werden. Das Ziel der Ausbildung ist das geradegerichtete Pferd. Denn nur das geradegerichtete Pferd kann sich selbst tragen.

Eines der Ziele muss sein, dass das äußere Hinterbein die Last auffängt, damit das wichtige innere Hinterbein Platz hat, nach vorne zu treten. Ein Überkreuzen des inneren Hinterbeins über den Schwerpunkt hingegen führt zu gefährlichen körperlichen Reaktionen: Überlastung des Iliosakral-Bereiches (eines der häufigsten Probleme), Knieband- (bzw. Patella-)Probleme und Spat, eine Folge der Drehung im Sprunggelenk.

Ein schneeweisser Schimmel an der Longe mit Kappzaum, locker trabend. Sein Körper ist kraftvoll und muskulös, gleichzeitig entspannt und locker.
Foto: Andrea Heimgartner

Das funktionelle Training

Funktionelles Training zielt durch systematische, planmäßige und regelmäßige Wiederholung auf einen Veränderungsprozess an Psyche oder Körper ab, um eine bestimmte sportliche oder alltagsbedingte Leistung erbringen zu können.

Für ein auszubildendes Reitpferd bedeutet das, die natürliche Schiefe aufzuheben, damit beim Reiten Informationen mit feinen Hilfen vermittelt und vom Pferd willig verarbeitet werden können. Funktionelles Training ist beim Pferd stets in Bewegung zu vollziehen. Von zentraler Bedeutung ist die biomechanisch korrekte Ausführung jeder Bewegung.

Beim funktionellen Training geht es also nicht darum, einfach nur Kraft aufzubauen, sondern die Leistungsfähigkeit zu erhöhen und das Verletzungsrisiko zu reduzieren. Ein Muskelzuwachs wird nur dort angestrebt, wo das sich selbst tragende Pferd seine Kraft benötigt: Bei der diagonalen Reaktion von Stand- und Spielbein.

Der erste Widerstand in der Gymnastik des Pferdes tritt im Halsbereich auf. Da der Hals das Steuerelement des Fluchttieres ist, wird er natürlich auf dem Weg zum Sich-selbst-Tragen die ersten Anforderungen sein.

Sollte man der Meinung sein, dass Stellung und Vorwärts-Abwärts die Lösung seien, dann wird man sich fragen müssen, wann diese in den Richtlinien verankerte Aussage eigentlich tatsächlich angebracht ist. Erst wenn der Rumpf des Pferdes sich durch Entwicklung von Stand- und Spielbein anhebt, das Pferd also bergauf geht, können diese Elemente angewendet werden.

Da beim funktionellen Training das Öffnen, die Losgelassenheit, des Halses voransteht, kommt es natürlich während der Gymnastik zu einer höheren Dehnungsanforderung in diesem Bereich. Das aber mit Überbiegung zu verwechseln, hieße, vom funktionellen Zweck der Übung abzusehen und die mechanische Einwirkung isoliert zu betrachten. Das wäre für den dauerhaften Erfolg für die Leistung nicht viel versprechend.

Zugegebener Maßen erscheint vielen Pferdebesitzern die Erklärung, dass das schnelle Vorwärts-Abwärts oder aber das schnelle Vorwärts die Lösung seien, logisch und erstrebenswert. Aber wenn die Pferde auf Kreisbogen ausscheren oder mit der Hinterhand überkreuzen, dann ist erkennbar, dass dieser Weg zum Scheitern verurteilt ist, denn er beinhaltet in sich eine gesundheitlich nicht ungefährliche Situation.

So landen auch ehemalige Hochleistungspferde bei uns. Krank und austherapiert. Und genau diese Pferde finden durch das funktionelle Training wieder den Weg zur Leistungsfähigkeit. Auch dadurch, dass die Kraft der Diagonalen sich als Rettung entwickelt, weil nur die diagonale Rückführung der Schiefe eine Garantie für das athletische Pferd bedeutet. Alles kommt zur Funktion: Stoffwechsel, Faszien und Muskulatur, Entlastung aller Gelenke, und die innere Ruhe stabilisiert sich durch das ausschließliche Training der Bewegungsmuskulatur.

Dafür bedarf es eines ganzheitlichen Verständnisses. Medizin, Equipment, Hufbehandlung usw. funktionieren nur in Abstimmung mit dem Training. Die Übertragung vom Boden in den Sattel gelingt nur, wenn das Fundament – das Pferd – auf dem man sitzen wird, in sich ruht und der, der die Zukunft seines Pferdes begleiten wird, – der Besitzer – versteht, was mit seinem Pferd geschehen ist. Er muss sein Pferd neu erfahren, er muss raus aus der mechanischen Vergangenheit, er muss das Pferd in seinem Ursprung neu erkennen. Das fängt mit den Sitzübungen an, die logischerweise anders sind, als die, die der Markt sonst anbietet. Denn das ist entscheidend: Sitzübungen auf einem Pferd auszuführen, dessen Rumpf nach unten geht, machen keinen Sinn. Nach dem funktionellen Training trägt das Pferd sich aus der Hinterhand, es hat seinen ihm eigenen Rhythmus gefunden. Wir sind da, wo die Zukunft beginnen kann, dem Funktionieren von Takt, Schwung und Losgelassenheit.

Text: Gabriele Rachen-Schöneich und Klaus Schöneich, Zentrum für Anatomisch richtiges Reiten ARR