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Moderne Pferde mit dem Rücken zur Wand

Auf Kandarre gerittener Schimmel im Dressurvierreck: der Kopf ist zwar an der Senkrechten, der Brustkorb ist jedoch tief und der Rücken sichtbar durchhängend. Die Hinterhand tritt hinter dem Körper aus der Balance. Ein negatives Beispiel der Reiterei.
So nicht: Der Trend des Reitens ohne Rücken ist gewissermaßen salonfähig geworden, ganz zum Leidwesen der Pferde.

Zu den vielen Gesetzmäßigkeiten der Arbeit unter dem Sattel, deren Hintergrund vielen Reitern und sogar Ausbildern nicht vertraut ist, gehört, dass Pferde «über den Rücken» gehen müssen. Will man sich genau informieren, was hinter diesem Ausdruck steckt, merkt man schnell, dass oft mit leeren Floskeln argumentiert wird, die jedem Hintergrundwissen entbehren. Das ist sehr bedauerlich, denn hier liegt ein starker Einfluss auf die Gesundheit, Motivation und Lebensfreude des Pferdes verborgen.

Nur wenn Pferde über den Rücken geritten werden, halten sie jeder Leistung stand. Leider sehen wir heute mehr Pferde, die eben nicht über den Rücken gehen, als solche, die ihren Rücken wirklich zur Entlastung der Gelenke und tragenden Strukturen einsetzen. Und dies bis ganz oben an der Weltspitze des Reitsports. Der Trend des Reitens ohne Rücken ist gewissermaßen salonfähig geworden, ganz zum Leidwesen der Pferde. Dass das teilweise auch so gelehrt wird, deutet darauf hin, dass man das heutige Pferd nach veralteten Lehrwegen ausbildet, die angesichts der modernen Zuchtergebnisse überdacht werden sollten.

Müssen wir heute in Anbetracht der großen Palette an verschiedenen Rassen und der Vielzahl von traditionellen, modernen Zuchtlinien unbedingt mit der Reitkunst von vor 500 Jahren kokettieren? Müssen wir nicht erst einmal versuchen, unsere heutigen Pferde zu verstehen? Ob früher alles besser war, sei dahingestellt. Wenn man sich die Sättel und Gebisse anschaut, die in früheren Jahrhunderten zum Einsatz kamen, sind gewisse Zweifel durchaus angebracht. Dennoch ist klar, dass die Pferde damals andere Aufgaben hatten: Die adligen Damen und Herren aus bestem Hause brauchten edle Rosse, die es ihnen leichtmachten, in den Parks plaudernd auf solide ausgebildeten Pferden, die fein zu lenken und in sich geruht waren, zu flanieren. Es war die Zeit des gesellschaftlichen Vergnügens und der Repräsentation, es war die Zeit des Barock. Geht das heute noch?

Heute ist das Reiten nicht mehr einer gesellschaftlichen Elite vorbehalten, die ihre Pferde von erfahrenen Meistern ihres Fachs ausbilden lassen. Heute ist Reiten ein Volkssport, was bedeutet, dass nicht mehr nur gut trainierte Berufsleute und Sportler im Sattel Platz nehmen.

Gleichzeitig hat sich die Pferdezucht in den letzten Jahrzehnten stark entwickelt, in manchen Fällen bis hart an die Grenze der Qualzucht. Die modernen Pferde nahezu aller Rassen, von den Warmblütern über die iberischen Pferde bis hin zu den Isländern, sind hypermobil, d. h. überbeweglich, und verfügen gleichzeitig über enorme Schubkraft in der Hinterhand. Diese Pferde begeistern den unwissenden Betrachter als Fohlen und Jungpferde mit ihren ausladenden Bewegungen. Doch hinter vorgehaltener Hand ist man sich in Züchter- und Ausbilderkreisen längst einig, dass es so nicht weitergehen kann.

Hypermobilität gepaart mit überschäumender Schubkraft sind eine gefährliche Mischung, die im Körper zu Instabilitäten führt, die das Reitpferd über kurz oder lang gesundheitlich stark belasten. Das Pferd ist mit seinen eigenen Bewegungen und der zusätzlichen Belastung durch den Reiter schlicht überfordert und sucht instinktiv nach Strategien, um sich buchstäblich auf den Beinen halten zu können. Es verspannt sich, baut Kompensationsmuskulatur auf und wird bald steif im ganzen Körper. Diese verspannte und kompensatorische Muskulatur gibt dem Pferd zwar Halt, erschwert aber eine physiologisch funktionelle Bewegung. Das Potenzial des Pferdes bleibt auf der Strecke, es entwickeln sich unerklärliches Stressverhalten und Unwilligkeit, sodass die Rittigkeit für den Besitzer belastend wird. Damit verbunden treten die Vorboten von gesundheitlichen Problemen in Erscheinung: Taktunreinheiten, Lahmheiten ohne medizinische Ursache oder auch Stoffwechselprobleme.

Was hat das alles mit dem Rücken zu tun? Der Rücken als Bewegungszentrum muss so trainiert werden, dass er nach oben schwingt und dadurch die Belastung der Scher- und Zentrifugalkräfte, aber auch des Reitergewichts von den Gelenken wegnimmt. Die gesamte Oberlinie des Pferdes muss durch entsprechendes Training zu einer funktionellen Einheit werden, die zusammen mit ihrem Gegenspieler, der Bauch- und Brustmuskulatur, Belastungen federnd verteilt. Hier kann die Basis nur heißen: Hankenbeugung, aus der das Anheben des Rumpfes resultiert und eine gesunde Dehnungshaltung folgen lässt.

Dabei spielt der Hals eine ganz entscheidende Rolle! Erst wenn dieser nicht mehr als «Steuerelement» oder «Balancestange» eingesetzt werden muss, kann er vollständig durchlässig und losgelassen funktionell in den Körper integriert werden. Daraus kann nun im nächsten Schritt aus der angeborenen Schubkraft die leistungserhaltende Tragkraft entwickelt werden. Jetzt ist das Pferd in der Lage, mit der Hinterhand unter den Schwerpunkt zu treten und sich über den Rücken aufzurichten – das landläufige «Bergauf-Gehen» – und an das Gebiss heranzutreten. Die Anlehnung bleibt jederzeit fein federnd, der Rücken locker schwingend.

Dieses Über-den-Rücken-Gehen ist ein absolut zentrales Element des pferdegerechten Reitens und muss zwingend bis in die höchsten Lektionen beibehalten werden! Die Versammlung ist eine Perfektionierung des funktionellen Trainings mit maximaler Lastaufnahme der Hinterhand und Kraftübertragung über den Rücken zur feinen Anlehnung.

Pferde, die korrekt über den Rücken gehen, sind Athleten, die eine enorme sportliche Leistung erbringen. Nicht weniger wird auch von ihren Reitern verlangt! Doch viele Pferdebesitzer sind heute nicht mehr in der Lage, Pferde, die über den Rücken gehen, zu reiten – es mangelt ihnen selbst an Athletik – an Stabilität und Mobilität. Wer ein Pferd, das über den Rücken geht, in seinen Bewegungen nicht stören, sondern vielmehr unterstützen will, braucht selbst unter anderem gute Bauch- und Rückenmuskeln für einen ausbalancierten, zügelunabhängigen Sitz. Ein rückenverspanntes Pferd zu reiten, ist also weniger anspruchsvoll für den Reiter. Angesichts der gesundheitlichen Belastungen, die eine solche reiterliche Bequemlichkeit mit sich bringt, erscheint dieser von manchen Reitern und Trainern bewusst in Kauf genommene Kompromiss aus ethischer Sicht mehr als bedenklich. Aus Respekt gegenüber unseren treuen Freunden den Pferden ist es unsere Pflicht als Reiter, selbst fit genug zu sein, um unsere Pferde über den Rücken zu reiten. Sie werden es uns danken.

Braunes Pferd im Trab unter einer fein einwirkenden Reiterin auf dem Reitplatz des Zentrums für ARR. Das Pferd ist korrekt geritten: der Kopf ist an der Senkrechten, die Zügel fein in der Anlehnung, das Vorderbein schwingt frei aus der Schulter und der Rücken ist hoch. Die Hinterhand tritt unter den Schwerpunkt des  Pferdes. So sollte es aussehen.
Nur wenn Pferde über den Rücken geritten werden, halten sie jeder Leistung stand. (Foto: ARR)
Text: Gabriele Rachen-Schöneich und Klaus Schöneich, Zentrum für Anatomisch Richtiges Reiten ARR