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Raus aus der Reha, ran an das Training!

Frau Rachen-Schöneich gymnastiziert ein Pferd an der Longe im Rundpaddock. Der trabende Dunkelfuchs dehnt sich zufrieden nach vorne, seine Bewegung im Trab wirkt locker, die Hinterhand ist in der Lastaufnahme, der Rücken schwingt sichtbar nach oben.
Funktionelles Training dient der Rehabilitation und langfristigen Gesunderhaltung des Pferdes. (Foto: Maresa Mader)

Mit viel Geduld hat man seinem Pferd Zeit gegeben, sich von einer Krankheit oder einer Verletzung zu erholen. Dann endlich gibt der Tierarzt nach einer Kontrolluntersuchung grünes Licht für die Reha-Phase. Die Freude ist groß – die Verunsicherung genauso. Man möchte alles richtig machen und sich strikte an die Anweisungen des Tierarztes halten. Meist heißt das, mit der Stoppuhr am Handgelenk geradeaus Schrittreiten, dann kurze Trabstrecken einbauen und schließlich folgt der erste Galopp. Was wie eine bombensichere Gebrauchsanweisung zurück in den Sport anmutet, ist in Tat und Wahrheit in den allermeisten Fällen früher oder später zum Scheitern verurteilt.

Mit dem Wandel der Pferdebranche von einer militärisch geprägten Männerdomäne zu einem weiblich dominierten Volkssport hat sich auch die Einstellung von Pferdebesitzern gegenüber ihren Tieren im Falle von Verletzungen oder Krankheit verändert. Die emotionale Bindung ist stärker, sodass man häufig alle verfügbaren Mittel einsetzt, um ein Pferd zu behandeln. So entstand ein äußerst lukrativer Nischenmarkt in der Pferdebranche, der sich die Ängste der Pferdebesitzer zunutze macht: die Reha.

Zahlreiche Kliniken und Pferdesportbetriebe sind auf diesen Zug aufgesprungen und locken mit erfolgversprechenden Angeboten zum Wiederaufbau nach der Trainingspause. Wo die einen den Fokus auf die medizinische Nachbehandlung legen und mit medikamentös begleiteten und tierärztlich beaufsichtigten Therapien werben, locken andere mit Aquatrainer, an Wochenendkursen erlernten Massagetechniken, Schlammpackungen und Kräuterkuren. Ob ambulant oder stationär – diesen Angeboten fehlt oft der ganzheitliche Ansatz und insbesondere die gründliche Analyse, warum es überhaupt zu der akuten Verletzung oder Erkrankung gekommen ist.

Meist treten Verletzungen schleichend auf, Lahmheiten kommen und gehen, Pferde gelten als unrittig und widerspenstig, bis der Fesselträgerschaden oder die akute Entzündung im Rücken nicht mehr zu übersehen ist und eine tierärztliche Behandlung erfordert. Auch Koliken gehen vielfach unbeachtete Stoffwechselproblematiken oder stressbedingte Verdauungsschwierigkeiten voraus. Der Tierarzt und insbesondere die Reha-Stationen konzentrieren sich bei ihrer Behandlung jedoch ausschließlich auf die aktuellen Brandherde – weshalb sie langfristig nicht erfolgreich sein können.

Anstatt sich in solche Abhängigkeiten von Reha-Programmen und Behandlungsspiralen zu begeben, müssen Pferdebesitzer ihre Verantwortung in aller Deutlichkeit wahrnehmen und selbst zum Therapeuten ihres Pferdes werden. Das kann durchaus eine schmerzliche Erfahrung sein, denn sie erfordert vom Pferdebesitzer oft ein drastisches Umdenken. Gerade im heute weiblich geprägten Pferdeumfeld finden sich viele «Helikopter-Besitzer», die vor lauter aufopfernder Sorge um ihren Vierbeiner verlernt haben, einen Schritt zurückzutreten, um eine Situation zu beurteilen. Vielmehr kriechen sie in ihr Pferd hinein und übersehen in ihrer Vermenschlichung des Tieres, dass sie selbst ein Teil des Problems ihrer Pferde sind. So werden gewisse stereotypen Verhaltensweisen beim Pferd alleine durch die Gegenwart des Besitzers ausgelöst, oder man wirft dem Pferd vor, undankbar zu sein, schließlich habe man in der Zeit der Krankheit oder Verletzung und später in der Reha alles aufgeopfert für das Pferd – und nun mag es sich trotzdem nicht putzen lassen vom Besitzer, zeigt Widersetzlichkeiten oder erleidet gar einen Verletzungs- oder Krankheitsrückfall.

Tatsache ist, dass viele Pferde nach den Reha-Programmen am selben Ort stehen wie vor der Verletzung oder Erkrankung. Wurde die Frage nach dem «Warum» nicht gestellt und die Wurzel des Problems nicht angepackt, kann dieser Status jedoch nicht ausreichen, um das Pferd langfristig gesund zu erhalten.

In der überwiegenden Mehrheit der Fälle muss das gesamte Konzept des Aufbautrainings grundlegend hinterfragt und mit den Reha-Patienten eine eigentliche neue Grundausbildung gestartet werden. Zahlreiche Verhaltensauffälligkeiten, Verletzungen und Erkrankungen sind im Kern Ausdruck des Unvermögens des Körpers, mit den Kräften und Belastungen, die beim Reiten auf das Pferd einwirken, umzugehen. Diese müssen zwingend von einem erfahrenen Ausbilder, nötigenfalls punktuell begleitet von Tierärzten und Therapeuten, und unbedingt zusammen mit dem Pferdebesitzer angegangen werden! Zu diesem Neustart gehört nebst der Ausbildung von Pferd und Reiter auch die kritische Analyse der weiteren Trainingsfaktoren, beispielsweise des Sattels, des Beschlags und der Fütterung. Dieser Prozess erfordert vom Pferdebesitzer die Bereitschaft, das eigene Verhalten zu verändern und alte Zöpfe abzuschneiden, die man aus mangelndem Wissen vielleicht jahrelang als gut und richtig empfunden hat.

Nur wenn der Besitzer seine Verantwortung erkennt und seine Rolle als Ausbilder seines Pferdes wahrnimmt, hat eine Reha langfristige Erfolgschancen. Dies erfordert vom Besitzer die Bereitschaft, sich Wissen zur Anatomie und Biomechanik und somit zum funktionellen Training von Pferden anzueignen. Er wird lernen müssen, dass etwa das Geradeausreiten das Pferd mitnichten schont, sondern allein die geraderichtende Arbeit auf gebogenen Linien das Pferd aus seiner belastenden Biomechanik des Fluchttieres herausholt und es zum Athleten macht – ein Erfordernis, das für Sport- und Freizeitpferde gleichermaßen zwingend zu erfüllen ist. Ob bei der Bodenarbeit oder unter dem Sattel: Das zielgerichtete und planvolle Training durch den Besitzer ist der einzige Garant für die langfristige Gesunderhaltung unserer Pferde.

Text: Gabriele Rachen Schöneich und Klaus Schöneich, Zentrum für Anatomisch richtiges Reiten ARR