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Das Maul Ihres Pferdes ist immer einen Blick wert!

Die Pferdezahnpflege ist in Deutschland leider sehr im Rückstand und wird eher wenig vorgenommen. Was bei der Pflege der Pferdehufe selbstverständlich ist, nämlich regelmäßige Kontrollen und Maßnahmen zur Funktionserhaltung, ist beim Gebiss des Pferdes leider immer noch die Ausnahme. Vernachlässigte Pferdezahnpflege ist oftmals Ursache für viele Verhaltensauffälligkeiten und Nachfolgeerkrankungen sowie reiterliche Problematiken.

Warum gibt es überhaupt Zahnprobleme beim Pferd?

Um dies nachvollziehen zu können, muss man einen weiten Schritt zurück in der Entwicklungsgeschichte der Pferde gehen. Pferde wurden im Laufe der Evolution zu Steppentieren die sich bis zu 16 Stunden am Tag bewegten und ständig dabei Nahrung, meist hartes Steppengras, Wurzeln, Blätter, Rinden ect., abrupften und zu sich nahmen.

Die Zähne der heutigen Pferde sind immer noch an diese Bedingungen angepasst.
Durch unsere moderne Pferdehaltung werden diese allerdings gezwungen, sich an bestimmte Fütterungszeiten und Ernährungsvorgaben zu halten. Diese Nahrung wird aber leider den Zähnen unserer Pferde nicht mehr gerecht. Unser heutiges kultiviertes Weidegras ist um ein vielfaches weicher und silikatärmer. Das hat zur Folge, dass sich z. B. die ständig nachschiebenden Schneidezähne (1–3 mm pro Jahr) nicht genügend abnutzen und auf Dauer ein normales Mahlen und Abnutzen der Backenzähne verhindert wird.

Diese veränderte Kaubewegung begünstigt Fehlstellungen wie z. B. Haken, Rampen, Wellen, Stufen ect., die wiederum zu schmerzhaften Veränderungen im Kiefer und Kiefergelenk führen.

Des weiteren verursachen ganze Körner wie Hafer, Mais, Gerste und Pellets, die meist aus Futtertrögen gefressen werden, eine unnatürliche Abnutzung der Backenzähne. Das Pferd versucht die kleinen Körner auf der Kaufläche der Backenzähne zu halten und verringert dadurch die seitliche Kaubewegung über die ganze Zahnreihe. Dies begünstigt die Entstehung scharfer Kanten im Oberkiefer zur Backe und im Unterkiefer zur Zunge hin. Diese Kanten können sehr scharf werden und somit Backenschleimhaut und die Zunge massiv verletzen.

Die Folge solcher Fehlstellungen sind unter anderem, das «Festmachen» beim Reiten. Oft kann das Pferd den Kiefer nicht mehr korrekt verschieben und somit den Hilfen des Reiters nachgeben. Fakt ist, dass die Pferde versuchen sich zu «schützen» indem sie sich den Hilfen des Reiters zu entziehen versuchen.

Oft sind die Zähne schuld

Ausgewachsene Pferde verfügen über 36 bis 44 Zähne. 12 Schneidezähne, 4 Hengst– oder Hakenzähne, 24 Backenzähne, davon haben 12 Milchzahnvorläufer (Prämolaren)

und weitere 12 bleibende Zähne (Molaren). Dazu kommen noch teilweise bis zu 4 Wolfszähne.

Die Schneidezähne sind zum Festhalten und Schneiden von Nahrung da. Die Backenzähne sind zum Zermahlen der Nahrung bestimmt. Daher auch der Begriff Mahlzähne (Molaren).

Hengste, Wallache und manchmal auch Stuten besitzen zusätzlich noch die sog. Haken- bzw. Hengstzähne, 2 oben und 2 unten. Diese können sehr scharf werden, denn sie gelten dem Angriff und der Abwehr. Bei Stuten sind diese Zähne im allgemeinen kleiner und oft nicht alle 4 anwesend. Manchmal sitzen sie dann auch «blind» unter der Schleimhaut. Stuten mit Hengstzähnen gelten als charakterstark und oft dominant (Leitstuten). Sie vererben die Hengstzähne oft an ihre Stutfohlen.

Dazu kommen die Wolfszähne, die meiner Erfahrung nach bei ca. 40% aller Pferde vorkommen und Geschlechtsunabhängig sind.

Der Zahnwechsel

Nicht selten treten bei jüngeren Pferden, innerhalb des Zahnwechsels zwischen 2,5 und 5 Jahren, Zahnprobleme auf. Nicht abgestoßene Milchzahnkappen, gebrochene Milchkappen oder Fragmente verhindern oftmals das Herausschieben des neuen Zahnes und können diesen im schlimmsten Fall sogar irreversibel schädigen.

Das junge Pferd wechselt in dieser Zeit 24 Zähne! Alle 12 Schneidezähne und 12 Backenzähne. Mit 2,5 Jahren und dann nochmal mit 3 Jahren wechselt das Pferd 8 Zähne gleichzeitig! Die meisten Pferde werden i.d.R. in dieser Zeit eingeritten oder eingefahren. Unsere Pferde müssen dann nicht nur mit dem «Neuland» Einreiten zurechtkommen, sondern auch noch mit Zahnschmerzen. Hier sind Probleme oft vorprogrammiert.

Der berühmte Wolfszahn

Somit sind wir bei dem «Übeltäter» im Pferdemaul angekommen, der Wolfszahn! Er stört zwar meist nicht beim Fressvorgang, aber leider beim Reiten mit Trensengebiss. Er ist etwa Stecknadel- bis Erbsengroß und wird sehr oft mit den Hengstzähnen verwechselt! Der Wolfszahn ist ein Rudiment aus der Entwicklungszeit der Equiden und sitzt in der Regel vor dem ersten Backenzahn. Er zählt zu den Milchzähnen und kann im Ober- und Unterkiefer vorkommen. Allerdings kommt er zu ca. 95 % im Oberkiefer, auch einseitig, vor und kann auch unter der Schleimhaut, locker im Gewebe sitzen. Diese werden dann als «blinde» Wolfszähne bezeichnet und können nur ertastet werden.

Werden Pferde mit Trensengebiss geritten oder gefahren, verursachen diese kleinen Zähne oft sehr große Schmerzen, da das Gebiss beim Annehmen des Zügels auf den Wolfszahn drückt. Die diese Zähne eine Blut-und Nervenversorgung besitzen sollten dieses Überbleibsel möglichst entfernt werden. Symptome, die auf einen Wolfszahn hindeuten sind z. B. Kopfschlagen, starkes Aufrollen, Hohl machen, Verwerfen im Genick oder auch Festbeißen auf dem Trensengebiss sowie Durchgehen und Steigen.

Wie machen sich Zahnprobleme bemerkbar?

Schmerzen im Maul zeigen sich im Verhalten des Pferdes auf unterschiedliche Weise: z. B. durch einen verspannten Ausdruck um die Maulpartie, Empfindlichkeit beim Auftrensen, das Tier ist unwillig und widersetzlich beim Reiten mit Gebissstück. Zahnprobleme zeigen sich auch durch Maul aufsperren, Kopfschlagen und Verwerfen im Genick. Auch das Steigen, Durchgehen oder auch die Zunge heraushängen lassen sind typische Probleme die bei der Rittigkeit auftreten können. Weitere Symptome sind: schlechte Laune, stumpfes Fell, das Pferd magert ab, Müdigkeit oder auch unregelmäßige Rosse und Deckunlust.

Wiedersetzlichkeiten, schlechtes Anfassen am Kopf, Ohren und am Genick, Futterwickelkauen, langsames Kauen, aus dem Maul fallendes Futter oder ein hoher Anteil unverdauter, ganzer Körner und lange Fasern im Kot.

Eindeutige Symptome sind: ein fauliger Geruch aus Maul und Nüstern, blutige Verletzungen an Zunge oder den Schleimhäuten,

Empfindlichkeiten im Kiefergelenksbereich oder auch im Genick, Kopfscheue und Verdauungsprobleme wie Koliken oder Durchfälle.

Wann sollte die Zahnpflege beginnen?

Um den Freizeitpartner Pferd eine bestmögliche Versorgung und Betreuung zu bieten empfehle ich eine Kontrolle schon im Fohlenalter. Hier sind Fehlstellungen bereits gut erkennbar und meist leicht zu korrigieren. Pferde im Zahnwechsel, zwischen 2,5 und 5 Jahren, sollten etwa zwei mal jährlich kontrolliert werden, da der Zahnwechsel wie schon erwähnt nicht immer problemlos verläuft. Ab einem Alter von sechs Jahren ist eine jährliche Kontrolle meistens ausreichend. Ältere Pferde ab ca. 18 Jahren sowie Pferde mit bleibenden Zahnstellungsanomalien wie Über - und Unterbiss oder fehlende Zähne, sollten ebenfalls halbjährlich kontrolliert werden. Wolfszähne lassen sich am schonendsten im Alter von ca. 2,5 Jahren entfernen, da dann der Zahnwechsel beginnt und die Wolfszähne zu diesem Zeitpunkt relativ locker sitzen.

Speziell ausgebildete, ausgerüstete und geprüfte Pferde-Dental-Praktiker nehmen Untersuchungen und Behandlungen am Pferdegebiss vor. Dies ist absolut notwendig, da sich das Pferdegebiss durch sein Nachschieben (jährlich ca. 1-3mm) ständig verändert. Darum ist eine regelmäßige Kontrolle, Pflege und Korrektur der Zähne durch einen geprüften Spezialisten für das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Leistungsbereitschaft des Pferdes unerlässlich.

Adresse und Telefonnummer eines geprüften Pferde-Dental-Praktikers in ihrer Nähe erhalten sie bei der IGFP e.V. Internationale Gesellschaft zur Funktionsverbesserung der Pferdezähne e.V. www.igfp-ev.de

Text: Rabea Neubaum, Tierärztin und Pferdezahnärztin