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Die natürliche Schiefe korrigieren

Kavallo Schweiz
Kavallo Schweiz
2017/05

Im Jahr 1999 erschien das erste Buch «Anatomisch richtiges Reiten» von Klaus Schöneich und Gabriele Rachen-Schöneich, in welchem die Bedeutung der natürlichen Schiefe für die Ausbildung des Pferdes dargestellt und unter dem Begriff «Schiefen-Therapie®» das Geraderichten erklärt wird.

Doch wer ist eigentlich dieser Mann, der sich mit seiner Betrachtung des links- und rechtshändigen Pferdes international einen Namen gemacht hat? Die Vita des 81-jährigen Trainers lässt auf bewegte Jahre zurückblicken. So hängte der Textilfachmann und begeisterte Vielseitigkeitsreiter in den 80er-Jahren seinen Beruf an den Nagel und entschied sich für ein Leben für die Pferde. Dieses führte ihn von Deutschland nach Spanien, wo er mit seinem Freund Jean-Claude Dysli die berühmte Hacienda Buena Suerte aufbaute. «Ein Ort der Revolutionäre und Andersdenkenden der Freizeitreiterszene», erzählt Schöneich.

Schöneichs Methode, insbesondere das Longieren auf der kleinen Volte, wurde jahrelang kontrovers diskutiert. Schöneich meint dazu: «Die enorme Bedeutung der Händigkeit, die Wirkungsweise des Trapezmuskels oder die Rolle der Faszien bei der Ausbildung des Reitpferdes erklären wir den Leuten schon seit Jahren. Wo wir uns früher noch Gehör verschaffen mussten, ist dieses Wissen inzwischen schon weit verbreitet.»

Warum longieren wir?

Schöneichs Methode beinhaltet weit mehr als nur das Longieren auf dem kleinen Kreis, sie geht auf Grundlegendes in der Biomechanik des Pferdes ein. Er spricht von Links- und Rechtshändern. Diese Einseitigkeit ist, sofern sie nicht korrigiert wird, die Ursache so manchen Übels. Ob Anlehnungsfehler, Widersetzlichkeiten, Taktunreinheiten oder Lahmheiten, laut Schöneich liegt die überwiegende Mehrheit aller Bewegungsprobleme in der Händigkeit begründet.

So ist es denn auch das Ziel seiner Longenarbeit, die natürliche Schiefe zu korrigieren: Der Pferdekörper soll mittels Gymnastizierung auf der kleinen Volte beidseitig gleichmässig gebogen und das Gewicht auf die Hinterhand verlagert werden. «Erst dann ist das Pferd fähig, über den Rücken zu gehen und seinen Reiter zu tragen, ohne Schaden zu nehmen. Das ist der Grundstein für feines Reiten.»

Die natürliche Schiefe

Wie stark die natürliche Schiefe das Bewegungsmuster des Pferdes beeinflusst, wird klar, als Schöneich ein sogenanntes Analyse-Pferd an der Longe vortrabt, ein Pferd also, das noch nicht mit dieser Methode vertraut ist. Während einigen Minuten wird das 4-jährige Deutsche Reitpony in der Bewegung gefilmt. Bei der anschliessenden Besprechung der Zeitlupenaufnahmen wird deutlich, welche enormen Kräfte auf die Gelenke wirken. So rotiert der junge Wallach auf der händigen Seite gefährlich um das innere Vorderbein, während die Hinterhand nach aussen schert. Auf der anderen Hand bewegt er sich wie ein Eisschnellläufer in der Bahn und driftet über die Schulter nach aussen. Einseitige Verschleisserscheinungen und Muskelverspannungen sind vorprogrammiert, wird die natürliche Schiefe nicht korrigiert.

Schub- in Tragkraft umwandeln

Dass das Pony bereits 3-jährig an Reitpferdeprüfungen vorgestellt und turnierfertig verkauft wurde, erstaunt Klaus Schöneich nicht, der junge Wallach ist kein Einzelfall: «Dieses Bewegungsmuster sehen wir an unserem Ausbildungszentrum tagtäglich – und das betrifft nicht nur die jungen Pferde.» Oft sind es gerade hoch ausgebildeten Sportpferde, die mit der nicht korrigierten Schiefe zu kämpfen haben. «Die moderne Zucht bringt wahre Bewegungskünstler hervor. Doch wird Schubkraft nicht in Tragkraft umgewandelt, ist die Freude nur von kurzer Dauer», mahnt Schöneich.

Der passionierte Ausbilder erzählt, dass immer wieder Top-Reiter aus dem Spring-, Dressur- und Westernsport den Weg an das Zentrum für Anatomisch Richtiges Reiten (ARR) finden. Die Schweizer Dressurreiterin und Olympia-Teilnehmerin von 2012, Elizabeth Eversfield-Koch etwa, setzte bei ihrem Hengst Ubio auf Schöneichs Longierkünste und trainierte regelmässig am Zentrum für ARR. Mit Springreiter Andreas Kreuzer zählt der amtierende Deutsche Meister zur Kundschaft von Familie Schöneich.

«Leider ist der korrekte Umgang mit der Händigkeit wenig vertraut», stellt Schöneich fest. Gelingt es jedoch, die natürliche Schiefe zu Gunsten einer gleichmässigen Geschmeidigkeit und der Gewichtsverlagerung auf die Hinterhand zu korrigieren, ist plötzlich vieles möglich, denn der Schritt zur Versammlung ist eine logische, biomechanische Folge des Geraderichtens. «Wir erfinden die Ausbildungsskala ja nicht neu, das Wissen um das Geraderichten ist uralt.»

Text: Andrea Heimgartner